Sonntag, 20. Februar 2011

Die Guttenberg-Fibel. Oder: Wie dissertiert man zeitgemäß?

Der deutsche Verteidigungsminister macht für jeden ein für alle Mal klar, dass akademische Titel wie militärische Orden nichts mehr taugen. Eine gut geschmierte Publicity-Maschine ist alles, worauf es heutzutage ankommt. Ein Politiker ist schließlich nichts anderes als ein Bauer oder Biogärtner, der aus Mist Geld macht.

Außerdem ist das geistige Privateigentum nicht mehr zeitgemäß. Wie schon Proudhon sagte: Eigentum ist Diebstahl. Oder frei nach Guttenberg: Diebstahl ist Eigentum.

Das Urheberrecht ist ja nur da, um die privaten Verleger, so wie Bertelsmann oder etwa Springer, vor dem finanziellen Ruin zu retten.

Dem Verteidigungsminister gebührt nicht zuletzt das Verdienst, einen neuen Elan in die deutschen Schulen gebracht zu haben: "Mach es wie der Guttenberg!" Man muss nicht selber alles verstehen, was man mit CopyundPaste aus dem Internet holt. Noch nicht einmal gelesen haben. In der freien Marktwirtschaft findet sich noch immer ein akademischer Proletarier, der seine vorgeschriebenen Investitionen in den offiziellen Bildungsgang zum niedrigsten Marktpreis zu liquidieren strebt.

Also wenn man das, was hier ans Licht kommt, mit den Seifenopern im deutschen Fernsehen vergleicht, bleibt alles noch im grünen Bereich. Solange kein Sex im Spiel ist, ist all das für den Normalbürger reichlich uninteressant. Denn so schnell lässt sich ein Deutscher nicht seinen guten Schlaf oder seinen Glauben in den militärischen Führer rauben.

Der Wiki zur Guttenberg-Fibel: GuttenPLag Wiki

Top auf dem Gebiet der Guttenberg-Fibel ist die Süddeutsche Zeitung. So zum Beispiel:

Thomas Steinfeld : Der leere Schein der Wissenschaft.


Nachtrag

"Wissenschaft äußert sich in Forschung und Lehre. Auch wenn sich Wissenschaft einer Definition wesensgemäß entzieht, so läßt sich mit dem Bundesverfassungsgericht doch wissenschaftliche Tätigkeit als alles das beschreiben, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planungsmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist (BVerfGE 35, 79 (113)). Das methodenkritische Streben nach Erkenntnis (Forschung) und die systematisch angelegte Weitergabe und Verbreitung des Erkannten (Lehre) stehen demnach unter dem Gebot der Wahrhaftigkeit. Wissenschaftliches Fehlverhalten ist mit diesem Gebot nicht vereinbar."

Regeln zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten an der Universität Bayreuth

Die Juristensprache an sich ist dogmatisch und als solche von Essentialismen verseucht. Es wird im oben zitierten Beispiel unterstellt, es gebe ein Wesen der Wissenschaft, und dieses Wesen äußere sich nach außen, nämlich in Forschung und Lehre. Gewissermaßen erleben wir damit eine Kernspaltung des Wesens der Wissenschaft.

Nach hergebrachter Denkweise, die auf Aristoteles zurückgeführt wird, wird das Wesen der Dinge durch eine Definition festgestellt, die die wesentlichen Merkmale desselben erschöpfend auflistet.

Die neue Pointe aus Bayreuth: Wissenschaft habe nun zum Wesen, dass sie sich einer Definition entziehe.

Diese negative Verkehrung des Essentialismus könnte man demnach als essentialistischen Anti-Essentialismus begreifen. Oder als kläglich scheiterndes Bemühen, einen überholten Methodenansatz abzuschütteln, ohne zu wissen, wie man ihn wirklich aus seinem Kopf verbanne, d.h. wie man auch anders, abseits der herkömmlichen, ausgetretenen Trampelpfade, methodisch denken könne (Methodenkritik, Methodenpluralismus).

Die Sache nimmt vom juristischen Wesen sodann eine Wendung ins Moralisch-Religiöse. Wahrheit wird seit Aristoteles als die Übereinstimmung von Denken und Wirklichkeit verstanden. Diese Wahrheit, die Wissenschaft ("ernsthaft") suchen soll, wird im nächsten Schritt in die Frage der Wahrhaftigkeit umgedreht. Wissenschaft kann aber nicht wahrhaftig sein; wahrhaftig kann nur jemand sein, der zu uns spricht, gemeinhin ein Mensch, hier etwa ein Wissenschafter. Oder auch ein Politiker, wobei letzterem gemeinhin etwas andere Maßstäbe des moralischen Verhaltens angelegt werden. Überhaupt wird damit erst, durch den Übergang vom Wesen (Idee?!) der Wissenschaft zu den Leuten, die Wissenschaft betreiben, die Beziehung zu "wissenschaftlichem Fehlverhalten" hergestellt.

"Fehlverhalten" kann man juristisch oder soziologisch begreifen. Entweder als Verstoß gegen eine fixierte Rechtsnorm, mit oder ohne Bewusstsein oder Absicht. Oder als "abweichendes" Verhalten in Gegensatz zu einem normkonformen Verhalten.

Vielleicht sollte die Universität Bayreuth sich erst einmal darüber klar werden, was ihr hier "wesentlich" ist. In einer gewissen Beziehung scheinen die Anti-Essentialisten wie Ernst Topitsch oder Karl Popper Recht zu behalten, die hinter dem Gebrauch essentialistischer Begründungen nichts weiter als ideologisch verdächtige Legitimierungsversuche erkennen können.

3 Kommentare:

meffo hat gesagt…

"Schaden im Kosmos der bürgerlichen Werte" schreibt Berthold Kohler in der FAZ vom 23. Februar 2011.

"Noch aber ist Deutschland eine Republik, und noch ist ein Plagiat Diebstahl geistigen Eigentums. Die Kanzlerin mag aus naheliegenden Gründen über Letzteres hinweggehen, wenigstens nach außen hin. Den Schaden im Kosmos der bürgerlichen Werte, den die Operation zur Rettung des gestrauchelten Bannerträgers nach sich zieht, kann aber auch Frau Merkel unmöglich übersehen.

Die Aktion, so sie denn gelingt und schon alles am Licht ist, wird Spätfolgen haben. Guttenberg hätte sich selbst, den Werten, die er hochhält, und langfristig auch der Union einen besseren Dienst erwiesen, wenn er nicht nur der Universität Bayreuth einen Brief geschrieben hätte, sondern auch der Kanzlerin."

http://www.faz.net/s/Rub7FC5BF30C45B402F96E964EF8CE790E1/Doc~E27E30B5B3E2C4EE2B81C8AB1BAE3DDFF~ATpl~Ecommon~Sspezial.html

meffo hat gesagt…

Man sagt Luxemburger Zeitungen nach, dass sie stark an politische Parteien oder Position gebunden seien (Christoph Barth, Martine Hemmer: Medien und Medienpolitik. In: Wolfgang H. Lorig, Mario Hirsch, (Hg.): Das politische System Luxemburgs. Eine Einführung. VS Verlag für Sozialwissenschaft, 1. Aufl. 2008. ISBN: 978-3-531-14182-4.).

Dasselbe kann man so ziemlich auch von deutschen Medien sagen, wie sich indirekt aus den Umfrageergebnissen zu der Frage ergibt, ob Lügenbaron zG zurücktreteh solle.

Florian Roetzer: Die Deutschen halten zu ihrem Dr. Guttenberg. telepolis, 20.02.2011.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/149303

meffo hat gesagt…

Man muss nur etwas nachhaken, dann entpuppen sich publizierte Meinungsumfragen sehr schnell als Manipulationsinstrumente.

Merke: BILD-Leser sind nicht so dumm, wie man glaubt.

Lena Jakat, Schön: Meinungsvielfalt bei Bild. Süddeutsche, 24.02.2011.
http://www.sueddeutsche.de/medien/bild-guttenberg-und-die-plagiatsaffaere-schoen-meinungsvielfalt-bei-bild-1.1064425

Prof. Oliver Lepsius, Uni Bayreuth, bekennt öffentlich, dass die Universität einem Betrüger aufgesessen sei. Der Staatsrechtler hat u.a. ein Buch über Systemtheorie und öffentliches Recht veröffentlicht. Ergebnis: Luhmanns Systemtheorie verträgt sich nicht mit dem deutschen Verfassungsrecht. Das Grundgesetz kennt nur Bürger mit deren Rechten und Pflichten, nicht aber sich selbst steuernde Systeme.

Lepsius, Oliver Steuerungsdiskussion, ystemtheorie und Parlamentarismuskritik. 1999. IX, 88 Seiten. ISBN 978-3-16-147261-9 Broschur € 24.00

http://books.google.lu/books?id=SG0ENMczx2oC&printsec=frontcover&dq=Lepsius,+Oliver++Steuerungsdiskussion,+Systemtheorie+und+Parlamentarismuskritik&source=bl&ots=HyrBEzRJCB&sig=LF66VkMPybHkJjgh3YQqOypfo1E&hl=de&ei=nGhnTZPVMMTrsgalzKThDA&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=1&ved=0CBYQ6AEwAA#v=onepage&q&f=false